Siegerin im Kampf gegen die Zeit
Fünf Monate nach ihrem Kreuzbandriss
hat sich Fussball-Torhüterin Gaëlle Thalmann mit Einsätzen im zweiten
Team des MSV Duisburg erfolgreich zurückgemeldet. Einer WM-Teilnahme mit
der Schweiz im Juni steht nichts mehr im Weg.
Rückblick:
Es war der 17. November 2014–also gut ein halbes Jahr vor Beginn der
Frauen-Fussball-WM in Kanada–, als sich die 29-jährige Gaëlle Thalmann
in der Bundesliga-Partie zwischen Duisburg und Jena ohne Fremdeinwirkung
das Kreuzband im rechten Knie gerissen hatte. Für die Freiburgerin
begann ein Kampf gegen die Zeit. Sie, die in der WM-Qualifikation in
sämtlichen Spielen für die Schweizer Auswahl zwischen den Pfosten
gestanden hatte und damit ihren Teil zur erstmaligen Teilnahme an einer
WM-Endrunde geleistet hatte, wollte in Nordamerika unbedingt dabei sein.
Jetzt, einen Monat vor dem ersten WM-Auftritt der Schweizerinnen (am 8.
Juni gegen Japan), hat Thalmann Gewissheit: Sie ist eine von 17
Spielerinnen, die bereits definitiv von Nationaltrainerin Martina
Voss-Tecklenburg aufgeboten wurden.
Reha auf Sardinien
Bis dahin und ihrem Comeback am 19. April mit der zweiten Equipe des
MSV Duisburg war es allerdings ein weiter Weg. Erschwert wurde dieser
zusätzlich, als im letzten Dezember ein Infekt den Heilungsprozess im
Knie verzögerte. «Diese Nachricht war ein Rückschlag und ich fiel in ein
mentales Tief. Zumal es nicht wirklich schön ist, Weihnachten im Spital
zu verbringen», sagt Thalmann. «Ich hatte aber Glück im Unglück, dass
das Implantat nicht von der Infektion betroffen gewesen ist. Ich habe
zwar Zeit verloren, weil ich tatenlos herumliegen musste, doch ich
konnte die Rehabilitation schnell fortsetzen.» Trotzdem zog sie aus dem
Vorfall ihre Konsequenzen. «Ich habe etwas Abstand gebraucht und setzte
meine Reha, mit Absprache der Ärzte und des Vereins, die Verständnis
gezeigt hatten, in Sardinien fort.» Auf der italienischen
Mittelmeerinsel hatte Thalmann von 2012 bis 2014 für den Klub ASD Torres
gespielt und 2013 den Landesmeistertitel gefeiert.
Das Ziel vor Augen
Die Arbeit mit dem Physiotherapeuten in Italien sei super gewesen,
blickt Thalmann zurück. Bei ihrer Rückkehr aus Sardinien sei sie dann
aber in ihrem Elan gebremst worden. «In Duisburg hatten sie Mühe, die
Rehabilitation auf dem eingeschlagenen Weg fortzusetzen. So hat es für
mich nicht mehr gepasst und ich habe den Physio gewechselt. Die zwei bis
drei Wochen vor diesem Wechsel waren ziemlich mühsam für mich.»
Insgesamt sei sie aber mit dem Verlauf der letzten Monate sehr
zufrieden. «Ich wusste, dass ich es bis zur WM schaffen kann. Mit diesem
Ziel vor Augen habe ich jeden Tag ein paar Stunden Reha auf mich
genommen. Grosse Tiefs hatte ich keine.»
Motivation statt Druck
Mit 18 Jahren hatte Thalmann schon einmal ein Kreuzband gerissen,
dazumal das linke. Der Unterschied zu damals war, dass sie nicht bis zu
einem konkreten Datum wieder fit hatte sein müssen. Doch trotz der
bevorstehenden WM, einen zusätzlichen Zeitdruck habe sie keinen
verspürt. «Für mich war es kein Müssen. In Sardinien haben wir einen
Zeitplan ausgearbeitet, der bis jetzt ziemlich gut aufgegangen ist.
Natürlich hatte ich die WM im Hinterkopf, trotzdem habe ich nichts
forciert. Das Knie hat sehr gut auf die Belastung reagiert und ich
konnte Schritt für Schritt vorangehen. Klar wollte ich Fortschritte
bemerken. Das war aber kein Druck, sondern eher Motivation.»
Wichtige Spielpraxis
Mittlerweile hat Thalmann in der Regionalliga drei Spiele bestritten.
«Ich merke, dass es immer besser geht. Das Timing lässt sich im
Training schlecht üben, deshalb brauche ich Spielpraxis.» In der
1. Bundesliga wird sie in dieser Saison nicht mehr zum Einsatz kommen.
«Am Sonntag findet das letzte Saisonspiel statt. Es ist nicht
vorgesehen, dass ich spielen werde, auch weil das Team im Abstiegskampf
steht. Der Unterschied zu der anderen Torhüterin ist nicht derart gross,
dass ein Wechsel nötig wäre.»
Nicht die klare Nummer 1
Dafür erhofft sich die Freiburgerin einen Einsatz im letzten
Testspiel der Schweiz vor der WM am 27. Mai bei der Generalprobe beim
zweifachen Weltmeister aus Deutschland. «Es wäre wahrscheinlich von
Vorteil bei diesem Spiel im Tor zu stehen, wenn ich bei der WM starten
will», hält Thalmann fest. Denn ihren Status der unangefochtenen Nummer 1
ist sie vorerst los. Mit Stenia Michel (Jena) hat Voss-Tecklenburg eine
valable Alternative zur Hand. «Ich beschäftige mich nicht gross damit,
ob ich noch die Nummer 1 bin oder nicht. Momentan bin ich nur auf mich
fokussiert und darauf, dass ich zu 100 Prozent fit werde. Ich habe noch
etwas Zeit und bin schon mal froh darüber, dass ich aufgeboten wurde.
Alles andere wird sich zeigen. Ich weiss, was ich leisten kann und was
ich leisten soll.»
Voss-Tecklenburg: Trainerin zählt auf Thalmann
Die Schweizer Nationaltrainerin Martina Voss-Tecklenburg zeigte
sich unlängst in einem Interview gegenüber dem Schweizer Fernsehen
erfreut über die Fortschritte von Gaëlle Thalmann: «Sie ist sehr, sehr
weit, was in den Planungen einiges zulässt. Wenn Gaëlle zu 100 Prozent
belastbar ist, ist sie bei der WM in Kanada dabei.» Die Frage der Nummer
1 im Tor werde erst in den letzten Trainings geklärt. «Es ist doch
komfortabel, zwei oder gar drei starke Torhüterinnen zu haben.» Thalmann
sei in jedem Fall eine Bereicherung für das Team, sagt Voss-Tecklenburg
weiter. «Das Sportliche ist das eine, das Menschliche das andere.
Gaëlle ist eine Leaderin und eine ehrgeizige Person, die der Mannschaft
einen Input geben kann.» Deshalb hätten sie und das Team auf die
Rückkehr der Freiburgerin gehofft.
Quelle: Frank Stettler, http://www.freiburger-nachrichten.ch/sport-fussball/siegerin-im-kampf-gegen-die-zeit, 07.05.2015.
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