Auf der Internetseite von Credit
Suisse, Sponsor der Schweizer Nationalmannschaft, ist ein Interview von
Michael Krobath mit mir erschienen. Hier unten könnt ihr ihn lesen.
Gaëlle Thalmann: «Wieso Druck? Hohe Ansprüche sind ein Kompliment»
Ende Oktober startet die Frauen-Nationalmannschaft in die Qualifikation für die EM 2017. Die Schweizer Nummer eins über die Lehren von der WM, existenzielle Ängste und das Leben zwischen den Pfosten.
Micheal Krobath: Gaëlle Thalmann, wie lautet eigentlich
Ihre korrekte Berufsbezeichnung: Torhüterin, Torfrau oder schlicht
Goalie?
Gaëlle Thalmann: Torfrau klingt mir irgendwie zu feministisch. Passender finde ich Torhüterin oder eben Goalie, in der Schweiz sowieso.
Der Autor Pedro Lenz vertritt die These, die Schweiz habe so viele
gute Goalies, weil dies dem Volkscharakter entspreche: Es sei eine
Spezialrolle und jene Position, in der man sich am wenigsten Fehler
erlauben darf. Einverstanden?
Das hat was. Wir Schweizer fallen bekanntlich nicht so gerne auf und
vermeiden deshalb tunlichst Fehler und jegliche Exzesse. Dafür braucht
es einen Hang zum Perfektionismus und das trifft auch auf uns Goalies
zu. Wir müssen Perfektionisten sein, denn jeder Fehler kann
schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen.
Geht es Ihnen wie der deutschen Torhüterlegende Nadine Angerer, die
einmal sagte: «Für mich ist jedes Gegentor eine persönliche Niederlage»?
Es nervt, Tore zu kassieren, denn Tore bedeuten immer Fehler. Aber
persönlich nehme ich das nie. Während eines Spiels verdränge ich es und
mache weiter als wäre nix passiert. Denn sich aufregen, bedeutet über
etwas nachzudenken, was nicht mehr zu ändern ist, statt den Fokus auf
das Beeinflussbare zu richten. Und das wiederum würde die Gefahr eines
weiteren Gegentors erhöhen.
Eigentlich sind Sie nicht zum Goalie gemacht. Mit 1,70 Meter und 62 Kilo sind Sie viel zu klein und leicht für den Job.
Das höre ich immer wieder. Aber ich hatte und habe einfach Spass
daran. Zur Kompensation der fehlenden Zentimeter investiere ich seit
jeher viel Arbeit in jene Variabeln, die ich beeinflussen kann: ins
Spielverständnis, in die Schnelligkeit und Sprungkraft.
Wie fühlt es sich an, wenn eine Flanke in den Strafraum kommt und sich vor einem eine 1,85 Meter-Stürmerin in die Höhe schraubt?
Ich liebe solche Situationen, denn du weisst: jetzt muss alles stimmen. Je grösser eine Spielerin, desto wichtiger das Timing.
Bedauern Sie in solchen Momenten manchmal, dass Sie sich gegen eine
Tenniskarriere entschieden haben? Immerhin waren sie mit 16 Jahren die
Nummer 63 der Schweiz.
Das bedauere ich nur, wenn ich an mein Bankkonto denke (lacht). Ich
bin sehr zufrieden mit dem Entscheid. Teamsport entspricht mir mehr,
ausserdem hätte ich es im Tennis vermutlich nie soweit gebracht wie im
Fussball.
Das Schweizer Nationalteam wird immer besser, in der letzten
WM-Qualifikation kassierte es gerade mal einziges Gegentor. Das muss für
Sie stinklangweilig sein.
Nein, denn als Goalie macht man viele Dinge, die der Zuschauer kaum
wahrnimmt. Ich dirigiere meine Vorderleute, ich verfolge immer Ball und
Gegner, um jederzeit voll im Spiel zu bleiben. Ausserdem ist es ja nicht
so, dass der Ball nie in unserer Platzhälfte kommt. So dominierend sind
wir auch wieder nicht. Deshalb brauchen wir eine gute Organisation, zu
der ich beitragen kann.
Wenn hinten so wenig los ist: Verspürt man da den inneren Drang, mit nach vorn zu stürmen und auch einmal aufs Tor zu schiessen?
Schön wärs, doch das ist nicht meine Aufgabe. Aber klar, in Partien
wie jene gegen Malta, die wir 11:0 gewannen, und wo ich den Ball
wirklich nur ein einziges Mal in den Händen hielt, stehe ich viel weiter
vor dem Tor als sonst.
Mal ganz ehrlich: Ins Schwitzen kommt man als
Goalie nicht.
Messungen haben gezeigt, dass ich im Spiel ebenfalls
schwitze und Gewicht verliere, wenn auch weniger als die meisten
Feldspielerinnen. Trotzdem fühle ich mich nach jedem Match ziemlich
kaputt. Ich stehe neunzig Minuten unter Strom und bin voll konzentriert.
Das kostet auch mental viel Kraft.
Blicken wir kurz zurück auf die WM, die trotz Erreichen des
Achtelfinals mit drei Niederlagen in vier Spielen etwas enttäuschend
verlief. War man zu euphorisch? Zu naiv?
Ach was. Es ist doch ein gutes Zeichen, dass wir hohe Ansprüche an
uns stellen und nicht nur erfolgreich, sondern auch gut spielen wollen.
Als naiv würde ich es auch nicht bezeichnen, eher als Mangel an
Erfahrung. Es war unser Debüt auf der grossen Bühne und wir ziehen
daraus unsere Lehren.
Welche?
Athletisch gibt es noch viel zu tun. Eine Aufgabe, an der jede von
uns einzeln arbeiten muss. Und wir müssen definitiv torgefährlicher
werden.
Klingt so einfach. Aber wie wird man das?
Indem wir uns auch im Training nie zufrieden damit geben, wenn der
Ball mal nicht reingeht. Indem wir mehr Spielerinnen in den gegnerischen
Strafraum bringen. Indem die Qualität der Flanken und des letzten
Passes besser wird. Zudem müssen wir öfters Distanzschüsse wagen,
schliesslich haben wir einige Scharfschützinnen im Team.
Welcher WM-Moment bleibt unvergesslich?
Viele. Etwa die Begeisterung der Bevölkerung oder das Achtelfinale
gegen Kanada vor 53'000 Zuschauern. Am emotionalsten war das
Abschlusstraining vor dem ersten Spiel.
Als ich in der Garderobe sass, fiel der ganze Druck von mir ab, der
sich während der monatelangen Rehabilitation aufgestaut hatte. Mich
übermannte die Erleichterung, dass ich es an die WM geschafft hatte, und
die Tränen flossen.
Sie standen sieben Monate nach dem Kreuzbandriss wieder im Tor und
sind dafür nicht nur medizinische Risiken eingegangen, sondern haben
sich täglich stundenlang gequält.
Ich wurde die ganze Zeit über von Ärzten und Physiotherapeuten
unterstützt und absolvierte vor der WM diverse medizinische Tests. Wären
diese nicht zufriedenstellend gewesen, wäre ich sehr wahrscheinlich
nicht mitgefahren. Was das Privatleben angeht, war es tatsächlich eine
ziemlich asoziale Zeit. Aber ich wurde für die Entbehrungen entlöhnt.
Diese WM war eine riesige Chance in meiner Karriere, und ich glaube, ich
hätte jeden Preis bezahlt, um dabei zu sein.
Nächstens beginnt die Qualifikation für die EM 2017, wo die Schweiz
vielleicht erstmals in der Geschichte Gruppenfavorit ist. Spürt man da
mehr Druck?
Wieso? Das ist doch ein Kompliment. Es bedeutet, dass wir gute
Leistungen gezeigt haben und die Ansprüche gestiegen sind. Unser Ziel
ist es, nach der WM auch bei EM dabei zu sein. Aber der Gruppenfavorit
heisst Italien, die liegen auf der Weltrangliste knapp vor uns.
Sie sind schweizerisch-italienische Doppelbürgerin und haben zwei
Jahre für den sardischen Klub Torres gespielt. Hatten Sie auch ein
Angebot fürs italienische Nationalteam?
Nein. Wenn überhaupt, hatten die mich wohl erst auf dem Radar, als
ich in Italien spielte und da stand ich ja schon für die Schweiz im Tor.
Spielen die Italiens Frauen ähnlich wie die Männer: technisch, taktisch clever, hart?
Absolut. Die Italienerinnen werden gewohnt körperbetont verteidigen.
Unsere Offensivkräfte müssen auf allfällige Provokationen cool
reagieren. Und klar ist, dass sie ein Resultat verwalten können.
Wird man als Goalie eigentlich auch provoziert?
Klar. Eine typische Situation sind Eckbälle. Da fallen Sprüche, man wird am Leibchen gezerrt oder am Arm gehalten.
Empfindet man manchmal auch Wut auf die eigenen Mitspielerinnen,
wenn man von diesen im Stich gelassen wird und die Gegnerinnen
mutterseelenallein vor dem Tor auftauchen?
Klar ärgere ich mich in solchen Situationen, aber ich beschuldige auf
dem Platz niemanden persönlich. Schliesslich macht jede mal einen
Fehler und keine macht es absichtlich. Ich habe allerdings das Glück,
dass meine Mitspielerinnen mich in der Regel hervorragend unterstützen.
Nati-Trainerin Martina Voss-Tecklenburg sagt über Sie: «Sie sagt,
was sie denkt, das schätze ich». Könnte man daraus auch schliessen, dass
Sie nicht ganz so pflegeleicht sind?
Früher vielleicht, inzwischen bin ich reifer geworden. Spreche ich
etwas an, dann bin ich überzeugt, dass es der Mannschaft hilft. Das
gehört zu den Aufgaben von Führungsspielerinnen und wird von der
Trainerin auch verlangt. Dabei geht es mir immer um die Sache, um das
Team, um den gemeinsamen Erfolg. Und häufig sage ich auch etwas
Positives. Das tut jeder Spielerin gut.
Im Frauenfussball gibt es nicht viel zu verdienen. Hat man da existenzielle Ängste?
Es gab schon schwierige Momente. Etwa als mein damaliger
italienischer Verein die Löhne nicht mehr bezahlte - und übrigens bis
heute nicht bezahlt hat. Oder als ich mir letzte Saison das Kreuzband
riss. Da die Versicherung nur einen Teil des Lohnes übernahm, wurde das
Geld knapp. Ich habe aber das grosse Glück, dass ich in schwierigen
Situationen auf meine Familie zählen könnte.
Während es fast alle Nati-Spielerinnen in ausländische Ligen zieht,
sind Sie diesen Sommer den umgekehrten Weg gegangen und haben beim FC
Basel unterschrieben. Ein Rückschritt?
Ich sehe das anders. Klar ist die schweizerische Liga eher eine
Ausbildungsliga und ihr Niveau ein anderes als etwa in Deutschland oder
Italien. Aber ich habe hier eine hervorragende Infrastruktur, um ganz
gezielt an meinen Schwächen arbeiten. Gleichzeitig kann ich hier auch an
der Karriere nach der Fussballkarriere arbeiten und das ist gut so. Ich
habe eben mit einer Weiterbildung im Bereich Sportrehabilitation und
Trainingstherapie begonnen.
Ist die EM-Teilnahme Ihr letztes grosses Karriereziel?
Ich denke nicht so weit voraus, sondern nehme Jahr für Jahr. Ich
hatte schon verschiedene Verletzungen und man weiss nie, wie der Körper
reagiert. Die EM-Endrunde wäre natürlich schon riesig. Und vorher finden
ja auch noch die Olympischen Spiele statt. Wir müssen im März in die
Barrage gegen Schweden, Norwegen und Holland. Das wird schwer, aber
nicht unmöglich.
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